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Selbstfindung

Klingt für mich schon fast wie eine Bedrohung. Kommt mir vor wie ein Trend bei dem jetzt alle mitziehen. Wie etwas, was man unbedingt mal ausprobiert haben muss, wenn man mitreden möchte. 

Wirkt wie eins von Milliarden Produkten, das man schnell mal nach Hause geliefert bekommt. Wird verkauft als Medizin gegen alles, was sich schlecht anfühlt. Statt wie geht es dir fragt man mich „Und hast du dich schon gefunden?“. Als wäre es eine Weste, die ich mir schnell mal drüberziehe, wenn ich mich orientierungslos fühle. Doch da nicht mitzulaufen fühlt sich an wie Hochverrat. Denn welche Daseinsberechtigung habe ich schon, wenn selbst ich noch nicht weiß wer ich bin oder sein will?

Ich verliere die Freude daran es herauszufinden, weil es mir Druck macht tagtäglich zu sehen, wie sich der Rest der Menschheit anscheinend jeden Tag neu erfindet, während ich noch nicht mal weiß wonach ich suchen soll.

Weil im Sekundentakt neue Reize und Selbstoptimierungsversprechen auf mich einprasseln und meine Versagensängste schon fast magnetisch anziehen.

Ich möchte daran glauben, dass Selbstfindung ein Prozess ist.

Ein Prozess, der kein Ablaufdatum hat und immer wieder auch mal stillgelegt werden darf. Ein Prozess, den man nicht durch Überstunden oder übertriebenem Ehrgeiz beschleunigen kann. Ein Prozess, den man auf individuelle Weise durchlebt und nicht bei seinem Nachbarn abschauen kann. Ein Prozess, der nicht als fixfertiges Endprodukt erhältlich ist und zurückgegeben werden kann, wenn er nicht hält, was er verspricht.

Ich möchte an eine Selbstfindung glauben, die wir anstreben dürfen, aber niemals müssen. Die uns nicht nur unseren Stärken näher bringt, sondern auch den Schwächen, die wir in einer Welt des Perfektionismus mühselig zu unterdrücken versuchen.

© Anja Grundner